c. Hier könnte ich auch mal wieder aufräumen: Motivation und Schreibblockade

»Wenn Du wüsstest, wie wenig die Leute über Dich nachdenken, würdest Du Dich nicht darum sorgen, was sie denken.«

– Koran

Jeder kennt diese Tage: Man sitzt rum, hat einen Stift und ein Stück Papier in der Hand und möchte jetzt endlich loslegen, denn man hat ja schon genug Zeit vertrödelt. Aber damit man sich konzentriert auf die Arbeit stürzen kann, sollte man vielleicht mal schnell das Zimmer aufräumen, um sich von allen Ablenkungen zu befreien. Dann noch die Kaffeetassen in die Küche bringen, und auch sonst alles abwaschen, was sich so angesammelt hat. Nebenbei schnell die Zeitung überfliegen, und oh: dieser neue Film ist angelaufen, das hört sich ja schon recht interessant an. Und ein bisschen Inspiration kann momentan ja auch nicht schaden. Nach ein paar Telefonaten mit Freunden hat man sich dann geeinigt, man könne sich vorher noch den ersten Teil auf Video ansehen. Um das vor dem Kinobesuch zu schaffen müsste man sich aber schon in einer halben Stunde treffen. OK, kein Problem. Fünf Stunden später geht man noch auf ein Bier, um über den Film und so zu sprechen. Und am nächsten Tag ärgert man sich, dass man wieder nicht weitergekommen ist. Aber erstmal Emails abrufen… Dieses Verhalten ist mangelnde Motivation, im schlimmsten Fall eine ausgewachsene Schreibblockade. Es gibt Gründe dafür. Wenn man weiß, warum gerade alles so schwer fällt, kann man dem Problem leichter aus dem Weg gehen.

Menschen nehmen sich selbst oft zu ernst. Und viele von uns sind ständig damit beschäftigt, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir auf andere wirken. Das beginnt bei der Kleidung, die wir tragen und bei unserem Verhalten gegenüber anderen. Einerseits handelt es sich hierbei um Respekt gegenüber den Mitmenschen, aber wenn man sich selbst gegenüber ehrlich ist, geht es zu einem großen Teil auch ganz einfach um die Selbstdarstellung, also darum, wie ich selbst gerne von anderen gesehen werden möchte. Diese Denkweise setzt sich natürlich auch in unserer Arbeit fort. Wir wollen, dass das Ergebnis unserer Arbeit gut ist, damit unsere Arbeit, und somit auch wir, von anderen respektiert werden. Psychologisch gesehen befinden wir uns hierbei auf der Maslowschen Bedürfnispyramide auf der dritten von fünf Stufen. Das heißt, wenn die physiologische Bedürfnisse wie Essen und Trinken abgedeckt sind und das Sicherheitsbedürfnis befriedigt ist, sehnen wir uns nach sozialen Kontakten, nach menschlicher Zuneigung.30 Soweit ist das in Ordnung. Es kann aber zu massiven Problemen kommen, wenn dadurch eine enorme Angst vor dem Versagen aufgebaut wird. Gut, wenn ich davon ausgehe, durch ein tolles Ergebnis wird meine Arbeit respektiert, und dann werde auch ich respektiert, und das im Umkehrschluss bedeutet, bei einem schlechten Ergebnis wird meine Arbeit nicht anerkannt, und dann werde ich nicht mehr geliebt, und wenn sie mich nicht lieben, kann ich mich selbst auch nicht lieben, dann steht natürlich unglaublich viel auf dem Spiel. Versagen bedeutet dann den totalen Egoverlust, die Selbstaufgabe. Wenn ich versage, dann sterbe ich. Mit dieser Last wird natürlich keiner fertig. Lieber gebe ich mein Vorhaben auf, als daran zugrunde zu gehen. Jetzt kommt die gute Nachricht: selbst wenn ich ein schlechtes Ergebnis erziele, denn das kommt schon mal vor, dann führt es nicht soweit, dass die Menschen aufhören, mich zu lieben. Und zwar »aus diesem einfachen Grund: Die Leute denken nicht darüber nach, wie Du auf sie wirkst. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie auf Dich wirken. Jeder von uns ist das Zentrum unseres eigenen Universums, und unser Universum ist von erstaunlich geringem Interesse für das Nachbaruniversum.«31 Für die Storyentwicklung bedeutet das, es ist extrem wichtig, ihr nicht dieses enorme Gewicht zu geben, denn das hat sie nicht. Und sobald man sich selbst und die Arbeit nicht mehr so ernst nimmt, fühlt man sich wesentlich freier und alles fällt viel leichter.32

Das ist aber noch nicht alles, was dem kreativen Prozess schadet. Ein weiteres, mit den oben angesprochenen Schwierigkeiten verwandtes Problem, ist, dass man dazu neigt, bereits das Endprodukt vor Augen zu haben, wenn man noch ganz am Anfang steht. Es soll unglaublich witzig werden oder wahnsinnig in die Tiefe gehen oder das Publikum zu Tränen rühren. Das beinhaltet zwei Fehler: Erstens denkt man bereits daran, welche Wirkung die Animation auf die Zuseher hat, obwohl möglicherweise noch nicht einmal die Grundidee steht. Zweitens ist es unmöglich mit Fragen wie »Was ist lustig?«, »Was ist bedeutungsvoll?« oder »Was ist traurig?« weiterzukommen. Diese Fragen sind viel zu groß. Es ist aber möglich sie auf viele kleine Fragestellungen herunterzubrechen, deren Bearbeitung dann realistisch wird. Im Folgenden werden ich Schritt für Schritt von der Grundidee bis zum fertigen Drehbuch und Storybord gelangen.33