e. Timing

Es ist möglich, Animationen nur mit krakeligen Strichmännchen umzusetzen. Die Bewegungsabläufe müssen nicht perfekt sein. Ebensogut können die Figuren auch unnatürlich und wie auf Stelzen umherlaufen. Was jedoch neben der Story sehr ausschlaggebend ist, ist das Timing, die zeitliche Abstimmung eines Films. Sie unterstützt die Geschichte, die erzählt werden soll. Mit schlechtem Timing kann es passieren, dass die Handlung falsch kommuniziert wird. Ich halte gutes Timing für den den schwersten Teil der Umsetzung. Pausen sind ebenso wichtig wie die zeitliche Abfolge von Aktionen und die Geschwindigkeit der Bewegungsabläufe. Perfekte Beispiele für gutes Timing in einer Low Budget Produktion sind meiner Meinung nach die Filme von Don Hertzfeldt. Hier geschieht sehr viel über geschickt gesetzte Pausen, in denen das Publikum die Charaktere förmlich denken spürt. Geringe, zeitlich gut abgestimmte Augenbewegungen genügen, um die Emotionen einer Charaktere offenzulegen. Extrem lange Pausen bei dem Blind Date von Lily and Jim lassen ein unbehagliches Schweigen aufkommen, bei dem das Publikum mitleidet. Trotz des einfachen Stils.

Ah, L´Amour

Ah, L´Amour

Lily and Jim Billy´s Balloon

Lily and Jim

Billy´s Balloon

Ich denke, es hilft, den eigenen Sinn für das Timing zu verbessern, wenn man darauf achtet, wie in Filmen damit umgegangen wird. Im Animationsbereich gilt Chuck Jones hier als großes Vorzeigebeispiel.145 Er hat für Warner Bros. unter anderem bei Zeichentrickepisoden von Bugs Bunny oder Roadrunner Regie geführt. Dabei befinden sich rasante Szenen oft im Wechselspiel mit ruhigen Passagen, in denen man meint, man höre die Zahnräder in den Köpfen der Charaktere knirschen. La Linea von Oswaldo Cavandoli halte ich ebenfalls für ein gutes Beispiel.

Koyote aus Roadrunner La Linea

Koyote aus Roadrunner

La Linea

Animationen, die vielleicht eine gute Story haben, bei denen man aber dennoch auf die Uhr sieht, haben meist ein Problem mit dem Timing. In dem Stopp-Motion Film Balance von Christoph und Wolfgang Lauenstein stehen fünf Charaktere auf einer quadratischen Ebene, die sich im Nichts befindet. Wenn sich die Figuren bewegen und damit das Gleichgewicht verlagern, kippt die Ebene langsam in die entsprechende Richtung und sie müssen die Balance wiederfinden. Es geht eine ganze Weile lang gut, bis eine Kiste ins Spiel kommt. Jeder der fünf möchte sie für sich behalten. Dadurch kommt die Ebene schwer ins wanken, ihre Welt gerät wortwörtlich aus dem Gleichgewicht. Der Reihe nach stürzen vier der Charaktere ab. Die letzte Einstellung zeigt, wie die übriggebliebene Figur an einer Ecke der Ebene steht und auf die Kiste an der gegenüberliegenden Ecke starrt. Die Balance ist wieder hergestellt, doch die Charaktere hat keine Möglichkeit, dem Schatz näherzukommen. Die Geschichte ist dank ihrer Einfachheit fantastisch und bietet großen Spielraum für Interpretationen. Ebenso gefällt mir der Stopp-Motion Stil. Dennoch hat die Animation für mich Längen. Die Story ist in wenigen Sätzen erklärt, dauert aber mehr als zehn Minuten. Es gibt noch weitere Szenen, aber einige zögern sich für meinen Geschmack zu lange hinaus. Im ersten Teil des Films angeln die Personen und es wird gezeigt, wie jede der fünf die Angel wie ein Teleskop ausfährt und dann über den Rand der Ebene auswirft. Es ist nicht nötig, dieselbe Szene fünfmal und in voller Länge zu zeigen, wenn sich dabei nichts ändert. Ebenso ist es ein langes Hin- und Her, bis schließlich alle bis auf einen von der Ebene gefallen sind. Vielleicht stehe ich mit meiner Meinung alleine, denn immerhin hat der Film 1989 den Oscar für den besten animierten Kurzfilm gewonnen. Dennoch bin ich der Meinung, dass er durch ein schnelleres Timing an manchen Stellen und durch das Weglassen einiger Szenen besser wirken würde, ohne dass die Geschichte darunter zu leiden hätte. Dies könnte wahrscheinlich alleine durch einen anderen Schnitt bewirkt werden.

Timing bedeutet aber auch die Geschwindigkeit von Bewegungsabläufen. Es fällt mir oft auf, dass Animatoren Szenen, Figuren und Objekte, die in der Umsetzung besonders schwierig waren, oder die sie visuell für besonders gelungen halten, gerne in den Vordergrund stellen, selbst wenn sie für die Geschichte nur wenig Bedeutung haben. Am häufigsten begegnet mir dies bei Amateurfilmen oder semiprofessionellen Produktionen im 3D-Bereich. Das Modellieren eines Objekts kann sehr zeitaufwendig sein. Ist das Ergebnis der ganzen mühevollen Arbeit dann nur für einen kurzen Augenblick zu sehen, ist dies den Animatoren oft nicht genug. Angenommen, in einer eher beiläufigen Szene deutet eine Figur in eine bestimmte Richtung. Die Geste ist klar. Eine Sekunde könnte genügen, um die Botschaft zu vermitteln. Gehen wir weiter davon aus, dass ich beim Modellieren an dem Arm und der deutenden Hand drei Wochen lang Tag und Nacht gearbeitet habe. Nicht einmal der kleinste Dreckpartikel unter den Fingernägeln ist dem Zufall überlassen. Das muss doch gewürdigt werden! Also lasse ich die Bewegung extrem langsam ablaufen, wähle als Kameraposition einen besonders dramatischen Winkel und lasse das Licht auf geheimnisvolle Weise auf der Spitze des Zeigefingers tanzen. Kurz gesagt: Ich habe mich in das Ergebnis verliebt und möchte es niemandem vorenthalten. Wenn ich mir gegenüber aber ehrlich bin, dann weiß ich, dass die Qualität des Objektes mich und möglicherweise einen Teil der Leute aus dem Häuschen bringt, die wissen, wie viel Arbeit dahinter steckt. Das normale Publikum dagegen interessiert nicht, wieviel Zeit ich investiert habe. Es geht bei einem Film mit Handlung darum, die Geschichte zu kommunizieren und nicht, um eine Bühne zu haben, auf der ich meine technischen Qualitäten zur Schau stellen kann. Man kann eine Story und eine atemberaubende Visualisierung schon unter einen Hut bringen, aber die Umsetzung muss die Story unterstützen, nicht umgekehrt.

Bei The Robbery geschieht relativ viel in kurzer Zeit. Ich wollte, dass ein Schritt rasch auf den nächsten folgt und dass alle Szenen zügig ablaufen. Ich habe eine einfache Methode angewendet, um das Tempo zu erreichen. Zuerst habe ich die Szenen in der Geschwindigkeit erstellt, die ich für richtig gehalten habe. Dann habe ich sie mir doppelt so schnell angesehen. Und siehe da: Das Ergebnis war fast immer besser. Ich musste danach nur noch ein paar Bewegungen oder Pausen verlängern, die wirklich zu knapp ausgefallen sind.