a. Warum tu ich mir das an? Abgrenzung zum Realfilm und Begründung für die Umsetzung als Animation

»Macht nicht, was eine Kamera tun kann – macht, was eine Kamera nicht tun kann!«25

– Emile Cohl

Animation ist bisweilen eine Menge Arbeit. Und Arbeit kann auch vermieden werden. Aber warum, zum Teufel, tu ich mir das trotzdem an? Im besten Fall, weil ich Spaß daran habe und nicht, »weil ich das halt machen muss, sonst schaff´ ich das Semester nicht, werde exmatrikuliert und dann, ich weiß auch nicht, dann muss ich wieder Michael Bolton CDs verkaufen.« Im ersten Fall, das war der mit dem Spaß, verliert das Wort Arbeit den negativen Beigeschmack, der ihr häufig anhaftet. Im zweiten Fall ist nicht auszuschließen, dass unverhofft doch noch ein Fünkchen Spaß überspringt und die Motivation entflammt. Was für ein Satz. Aber ernsthaft: Indem ich Animationen mache, werde ich zum Geschichtenerzähler. Geschichtenerzähler sind allmächtig, sie sind sozusagen die Götter der Welten, die sie erschaffen. Sie bestimmen über Glück und Unglück, Leben und Tod, ja selbst den Zufall haben sie in der Hand.

Wenn ich Geschichten wortwörtlich erzähle, dann erzeuge ich diese Welt in den Köpfen der Zuhörer. Mit Animation kann ich sie nach meinem Belieben visuell darstellen. Der Kanadier Richard Condie, der durch kurze Animationsfilme wie Le P´tit Chaos (The Big Snit) bekannt geworden ist, die er im Ein-Mann-Betrieb umsetzt, sieht die Hauptvorteile gegenüber dem Realfilm darin, dass er keine Schauspieler benötigt, sich keine Sorgen um das Licht machen muss, und prinzipiell an keine physikalischen oder sonstigen Gesetze gebunden ist.26 Die einzigen Einschränkungen sind also durch den audiovisuellen Raum und die eigene Vorstellungskraft bedingt. Schön wär´s! Das Budget setzt natürlich auch Grenzen.

Ich denke, man sollte sich über die Abgrenzung zwischen Real- und Animationsfilm von Anfang an im Klaren sein. Es geht mir nicht darum, das eine höher als das andere zu bewerten. Nicht für jede Geschichte ist die Animation die geeignetste Umsetzungsart, ebenso wenig wie der Realfilm immer die geeignetste Umsetzung darstellt. Es gibt zwei Ausgangssituationen. Erstens: Die Story steht bereits fest. Danach muss man die geeignete Umsetzungsart wählen, also Realfilm, Animation, oder andere Möglichkeiten. Zweitens: Die Umsetzungsart steht bereits fest, aber die Story fehlt. Dann kann man die Geschichte auf die Umsetzungsart abgestimmt schreiben. Wenn es eine Animation werden soll und man somit die Möglichkeit hat, aus dem vollen Potential des Animationsfilms zu schöpfen, warum sollte man sich dann mit weniger begnügen?

Ich glaube Übertreibung ist hier das wichtigste Stichwort, und zwar sowohl inhaltlich als auch visuell. Ich habe oft gesehen, dass sich Trickfilme, unabhängig von den verwendeten Techniken, sehr stark an der Realität orientieren. Bewegungen werden möglichst naturgemäß nachempfunden, und es muss alles logisch und begründbar sein. Bloß nicht zu weit über den Rand trauen! Andererseits: Warum denn nicht? Wenn ich Lust habe, darzustellen, dass zwei Schuhe anfangen sich zu streiten, dann verbiete ihnen doch nicht den Mund. Wenn dann noch ein Ritter in den Schuhen steckt, der sich an einem schlafenden Drachen vorbeischleichen will und gleichzeitig damit beschäftigt ist, deren Streit zu schlichten, dann ist das schon eine mögliche Story. Oder wenn sich meine Hauptcharaktere nach jeden Mal Blinzeln an einem anderen Ort befindet, dann lege ich als Geschichtenerzähler fest, dass sich die Welt, die ich erschaffe, auf diese Weise verhält. Ich kann selbst die Regeln aufstellen. Solange ich damit beim Publikum nicht absolute Verwirrung stifte, wird es die Gesetze meiner Welt akzeptieren.27 Es gibt kein Richtig oder Falsch und kein Möglich oder Unmöglich. Und wenn ich Lust habe gibt es auch kein Oben und Unten und auch kein Rechts und Links. Dieses Abweichen vom Realen kann, muss aber nicht unbedingt Komik erzeugen. Ich habe mit Andreas Soller 2003 drei kurze Spots für Amnesty International erstellt (Spot 1, Spot 2, Spot 3). Es handelte sich jeweils um sehr einfache, auf Papier gezeichnete Figuren. Das Papier ist auch deren natürliche Umgebung, aus der sie wortwörtlich herausgerissen werden können. Die Umgebung kann sich aber auch über ihnen zusammenfalten und sie auf diese Weise einsperren. Eine überdimensionale Zigarette, die einer Figur zu nahe kommt, und das Papier, auf dem diese gezeichnet ist, zum Glühen bringt, wird zur lebensgefährlichen Bedrohung. »Einfach die Natur zu imitieren, Realität darzustellen oder Live Action zu duplizieren, verschwendet nicht nur das Medium der Animation, sondern belastet auch den Animator enorm.«28

Das visuelle Übertreiben und das Abweichen von der »normalen« Logik ist aber noch nicht alles. Auch die Charaktere sollten sich übertrieben verhalten. Das wiederum ist keine Eigenart der Animation, sondern generell der Storyentwicklung. Ich komme im Kapitel Übertreibung noch ausführlicher darauf zu sprechen.

Zusammenfassend haben wir uns nun zu gottgleichen Wesen verwandelt, die Zeit und Raum beherrschen. Also nichts wie los!