v. Übertreibung

»Wer am lautesten schreit hat am aller rechtesten!«

– alte Binsenwahrheit

Die Stärken, die Schwächen und die Art, wie Charaktere die Welt sehen, benötigen Übertreibung, um wirklich spannende Figuren zu erschaffen. »Interessante Charaktere haben große Einschränkungen, aber handeln dennoch.«65 Personen sind unterhaltsam, wenn sie bestimmte Extreme haben. Klaus Kinski war nicht einfach nur selbstverliebt. Er war ein egomanischer Psychopath. Als ihn einmal ein Kritiker bei einer Mahlzeit nach einer Theateraufführung lobte, er wäre grandios gewesen, schmiss Kinski diesem heiße Kartoffeln und das Besteck ins Gesicht. Denn er wäre nicht grandios gewesen, nein. Er wäre monumental, er wäre epochal gewesen.66 Mickey Rourke spielt in Barfly einen Schriftsteller, der Alkoholiker ist. Er trinkt nicht nur regelmäßig und zu viel, er ist der größte und hoffnungsloseste Säufer, den man sich vorstellen kann. Auf derselben ungebremsten Talfahrt befindet sich Nicolas Cage in Leaving Las Vegas. In Kill Bill will es Uma Thurman nicht nur ihren ehemaligen Peinigern heimzahlen, sie ist der blutrünstigste auf Vergeltung sinnende Racheengel seit Charles Bronson.

Am wichtigsten ist die Übertreibung von Charakterzügen bei Komödien. Wenn das Publikum meint, ein Protagonist hätte bereits alle Grenzen überschritten und würde sich am äußersten Limit befinden, dann setze noch eines drauf. Logik spielt hierbei keine Rolle, solange der Charakter in sich glaubwürdig bleibt. Ein komischer Protagonist hat vor allem auch eine extrem übertriebene Motivation, seine Ziele zu erreichen. »Die dramatische Charaktere ist flexibel genug, vom Risiko einen Schritt zurückzutreten und zu erkennen: ›Das könnte mich umbringen.‹ Nicht so die komische Charaktere. Die komische Charaktere zeichnet sich durch blinde Obsession aus. Der erste Schritt, um das Problem einer Charaktere zu lösen, die lustig sein sollte, aber es nicht ist, ist, ihre Manie zu finden.«67

In meiner Animation The Robbery ist der Hauptdarsteller ein Bankräuber. In der ersten Szene erfährt das Publikum, mit wem es im folgenden zu tun hat. Seine persönliche Weltsicht ist: In Banken gibt es Geld. Man muss es nur abholen und hat für den Rest des Lebens ausgesorgt. Konsequenzen werden nicht in Erwägung gezogen. Die große Schwäche des Räubers ist also seine Naivität. Seine Motivation ist ungebremst, bis er mit den Folgen seines Handelns konfrontiert wird, nämlich dass die Polizei auftauchen könnte. Die Tatsache, dass er damit niemals gerechnet hätte, löst eine derartige Panik aus, dass er die Wände hochgeht. In einer anderen Szene erschießt er einen Hund. Auch hier bedenkt er nicht die Folgen seines Handelns. Nachdem er kurz darauf selbst erschossen wird, klagt ihn ebendieser Hund bei seinem kurzen Aufenthalt im Himmel an. Der Teufel persönlich befördert ihn daraufhin in die Hölle. Die weiteren Eigenschaften des Räubers sind seine Impulsivität, sein Egoismus und dass er nur auf sich vertraut. Als er mit einem anderen Bankräuber konfrontiert wird, hat seiner Meinung nach nur er selbst das »Recht«, die Bank zu überfallen. Das einzige Mal, dass er Konsequenzen bedenkt, ist, als er, aus Angst erschossen zu werden, den Fluchtplan des anderen Bankräubers als aussichtslos abtut. Zu unrecht. Das mangelnde Vertrauen auf den anderen und sein Zögern werden ihm zum Verhängnis.