a. Aller Anfang ist schwer: die Grundidee

»Werdet diese kleine Stimme los, die sagt, ihr wärt so schlau. Seid dumm!«34

– Felix Hude

Jeder von uns hat zwei Stimmen in seinem Kopf. Sie gehören Bart Simpson und Mr. Spock.35 Bart probiert alles aus, er sagt alles offen heraus, und je verbotener etwas ist, umso mehr Reiz übt es auf ihn aus. Keine Rücksicht auf Verluste! Mr. Spock handelt immer wohlüberlegt und bedenkt alle möglichen Folgen, die sich aus seinem Handeln ergeben könnten. Beide Stimmen sind nützlich. Aber vorerst sollten wir Mr. Spock geknebelt in einen fensterlosen Turm sperren und den Schlüssel wegwerfen. Wir benötigen ihn erst später wieder. Er ist ein Kreativitätskiller, hat aber gute Qualitäten, die besten und brauchbarsten Ideen von Bart herauszufiltern. Unter dem Wort Grundidee verstehe ich, ein mögliches Thema oder Szenario in einem Satz aufzuschreiben. Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, auf so eine Idee zu kommen. Jeder hat verschiedene Arten, kreativ zu werden. Ich empfehle zunächst einmal, die eigenen vier Wände zu verlassen. Am besten man nimmt Papier und Stift und begibt sich an einen belebten Ort, wo man trotzdem ungestört sein kann.

gehe raus

Die Ideen für meine bisherigen Animationen sind an solchen Orten entstanden: Die Grundidee zu Café Imperial entstand auch in einem Café. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal vor, über ein mögliches Thema nachzudenken. Die Idee lautete: »Ein Gast wird von einem Kellner ignoriert.« Das war leicht, und ich bin dem Kellner heute noch dankbar. Eigene Erfahrungen können Arbeiten sehr stark prägen. Ich würde mich nicht wundern, wenn eine Animation über einen idiotischen Postbeamten und seine Haltung gegenüber den Kunden ginge. Ich glaube nicht, dass dieser bestimmte Postbeamte das hier jemals lesen wird, falls aber doch: vielen Dank für den Ärger! Sie haben mir sehr geholfen! Man kann sich auch wirklich angewöhnen, Situationen aus dem Alltagsleben als Inspiration zu verstehen. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass man dadurch lernt über den eigenen Ärger zu schmunzeln, darüber zu lachen, wenn man sich selbst zum Idioten gemacht hat, und sich zu amüsieren, wenn andere aus der Fassung geraten. Kurz gesagt, man nimmt sich und die Welt nicht mehr so ernst, und das ist nicht zu unterschätzen (siehe auch Motivation und Schreibblockade). John Vorhaus spricht in seinem Buch The Comic Toolbox in diesem Zusammenhang von einer »komischen Perspektive«. Er meint damit, wie wir die Welt auf unsere eigene und übertriebene Art betrachten. Seine persönliche komische Perspektive ist: »Die Welt ist mein Zirkus. Alles, das ich sehe oder höre oder erfahre, alles, das irgendwo auf der Welt geschieht, ist nur zu meinem Vergnügen.«36 Immer so zu denken, wäre auch nicht angebracht, aber es kann hier und da sehr nützlich sein. Mir hilft es, Menschen zu beobachten. Jede Person, und wenn sie auch noch so unscheinbar ist, kann eine Reihe von Ideen auslösen. Die Idee zu meiner zweiten Animation The Robbery lautete: »Zwei Leute wollen gleichzeitig und unabhängig voneinander dieselbe Bank ausrauben.« Die Idee entstand am Strand. Ich habe noch nie eine Bank ausgeraubt. Ehrenwort. Die Umgebung und die Erfahrung muss also nicht zwingend etwas mit der Idee zu tun haben. Ich weiß leider nicht mehr, wie sich die Assoziationskette von einem Badegast zu einem Kapitalverbrechen ausgeweitet hat, aber das passiert einfach. Wer´s nicht glaubt, sitzt vermutlich immer noch zu Hause. Raus jetzt! Sofort! Sogar auf dem Friedhof ist mehr los als in Deinem Zimmer!

gehe raus!

Bist Du draußen? Sitzt Du bequem? Wunderbar. Grundsätzlich sind Situationen am vielversprechendsten, wenn es zu einem klaren Konflikt kommt, oder eine Charaktere in einer vertrackten Situation steckt, aus der es keinen Ausweg gibt. »Die meiste kreative Kunst geht über die Scheiße, die wir bauen.«37 Als nächstes einfach alles aufschreiben, was einem in den Sinn kommt. Kurz halten, ein Satz maximal. Brainstorming. Und nichts bewerten, das kommt später. Nichts herausfiltern! Niemand sonst liest diese Liste. Es ist egal, ob es gut oder schlecht erscheint, ob es wahnsinnig platt ist oder neunmalklug oder wenn es politisch nicht korrekt ist. Wichtig ist nur, möglichst viel auf das Papier zu bringen. Warum? Weil das den Druck wegnimmt, die eine, fantastische, tiefsinnige und doch zugleich unterhaltende, noch nie dagewesene Idee haben zu müssen. Je mehr Ergebnisse, desto besser. Die meisten können wir hinterher sowieso wieder von der Liste streichen. »Von zehn Witzen, die Du erzählst, werden neun Schrott sein. Von zehn Ideen, die Du hast, werden neun nicht funktionieren. Von zehn Malen, die Du etwas riskierst, scheiterst Du neunmal.«38 Das schöne daran ist, dass man sich so keine Sorgen um die Qualität machen muss. Man denkt nicht mehr an einen Misserfolg, sondern konzentriert sich alleine darauf, so viele Ideen wie möglich aufs Papier zu bringen.39

Es kann alles sein, zum Beispiel: »Ein Fallschirm geht nicht auf. Santa Claus wird abgeschossen. Jemand sperrt sich aus seiner Wohnung aus. Im Alten Rom streiten sich zwei Todeskandidaten. Neugeborene Zwillinge tragen einen Machtkampf aus. Ein Pärchen streitet sich. Der Alltag eines Fensterputzers. Ein Hundeliebhaber und eine Katzenliebhaberin treffen sich beim Tierarzt. Ein kleiner Mann sitzt im Kino hinter einem Riesen. Eine Hexe arbeitet als Fernsehköchin.« Das waren zehn Ideen. Nicht so aufregend, oder? Egal. Du bist dran. Zehn Stück. Los!

Aufgabe

Fertig? Gut! Es schadet nichts, weiterzumachen. Vielleicht macht´s ja auch ein bisschen Spaß. Bei einigen Ideen wird man dann automatisch hängen bleiben und sie ein bisschen weiterverfolgen oder sie ausbauen, wenn man am nächsten Tag nochmals auf die Liste sieht. Einige Ideen kann man leicht ausarbeiten, andere sind uninteressanter oder man kommt darauf, dass man die Situation schon mal irgendwo gesehen hat. Aber das muss kein Hindernis sein, solange man sie auf die eigene Art löst. Wer Woody Allens Take the Money and Run kennt, weiß, dass schon des öfteren in der Filmgeschichte dieselbe Bank von mehreren unabhängig agierenden Personen gleichzeitig ausgeraubt wurde.

Zuerst sollten wir die ursprüngliche Idee ausbauen, wenn das nicht sowieso schon nebenher geschehen ist. Ich versuche jetzt einfach mal, die obenstehenden Situationen ein bisschen zu verschärfen, indem ich mehr Risiko, Konflikt oder Überraschung ins Spiel bringe. Ob das ganze Qualität hat oder nicht, interessiert momentan nicht: »Ein Fallschirm geht nicht auf: gleichzeitig werde ich von Entenjägern beschossen, ein Abfangjäger und eine Heavy Metal Band sind hinter mir her. Santa Claus wird abgeschossen: er landet auf einer einsamen Insel und verspeist gerade ausgehungert Rudolph das Rentier, als Greenpeace-Aktivisten auf die Insel kommen. Jemand sperrt sich aus der Wohnung aus: Er ist nackt und erwartet seine Schwiegereltern. Im Alten Rom streiten sich zwei Todeskandidaten: Es geht um Lappalien und sie vergessen dabei den Ernst der Situation, denn in einer Minute werden die Löwen losgelassen. Neugeborene Zwillinge tragen einen Machtkampf aus: Die Situation steigert sich zum Weltkrieg. Ein Pärchen streitet sich: Es geht darum, wie schlecht sie Auto fahren und wie schlecht er Karten lesen kann, während sie in einem Auto auf den Meeresgrund sinken. Der Alltag eines Fensterputzers: Er hat Höhenangst. Ein Hundeliebhaber und eine Katzenliebhaberin treffen sich beim Tierarzt: Sie verlieben sich. Ein kleiner Mann sitzt im Kino hinter einem Riesen: Der Riese gehört einer Rugby-Mannschaft an, die gemeinsam ins Kino gehen, rechts von ihm kommt ein Pärchen zur Sache, der Mann zur Linken verrät, wie der Film ausgeht, hinter ihm schreien Kinder und rütteln am Kinositz, die Leute in seiner Reihe müssen dauernd aufs Klo, der Film ist unscharf, das Cola läuft aus, danach löst das Popcorn einen Hustenreiz aus, etcetera. Eine Hexe arbeitet als Fernsehköchin: Sie verwendet die falschen Zutaten und die gesamte Nation verwandelt sich in einen großen Hühnerstall.« Du bist dran!

Aufgabe

So schnell? Gut. Natürlich kann es sein, dass noch nichts dabei ist, oder dass eine Idee vielversprechend wirkt, sich aber dann doch als unbrauchbar herausstellt. Oder aus einem Teil wächst eine neue Idee. Das ist OK, denn noch sind es nur einzelne Sätze. Einerseits ist es so leichter, gute Ideen von schlechteren zu trennen, andererseits bedeutet es, dass wir die Ideen verstanden haben, die wir auch in nur einem Satz ausdrücken können.40 Außerdem spart es Arbeit. Und besser man verwirft einen Satz als ein fertiges Drehbuch. Durch die oben verwendete Vorgangsweise kann man relativ zügig eine Ausgangssituation erstellen. Dazu muss man auch nicht alleine sein, vielleicht klappt es zu zweit, möglicherweise mit ein bisschen Bier oder Wein, sogar noch besser. Eine weitere Methode ist, sich Filmtitel auszudenken, und daraus die Grundidee zu entwickeln. Für mich ist das ein bisschen, wie das Pferd von hinten aufzuzäumen, aber gut. Vielleicht kommt ja jemand besser damit zurecht. Jeder hat seine persönliche Art, so etwas anzugehen. Jedenfalls, egal wie oder mit wem: Was Du nun vor Dir hast nennt man die Grundidee. Und Du hast schon zehn Stück davon.