i. Kopf und Körper, Mimik und Gestik

Animation bedeutet auch Abstraktion, denn wenn es darum geht, die Welt realistisch abzubilden, ist der Realfilm das geeignetere Medium. Um eine einfache Animation zu erstellen, interessiert uns der Abstraktionsgrad. Welche visuellen Merkmale sind das Minimum, um eine Figur zu erschaffen? Der Kopf kann auf das Gesicht reduziert werden, das Gesicht wiederum auf die Gesichtsform, zwei Augen und einen Mund.132 Die Gesichtsform ist abstrahiert ein Kreis. Zwei Punkte, die in diesem Kreis in gleichem Anstand über einem horizontalen Strich liegen, ergeben für den Betrachter ein Gesicht. Man kann sich gar nicht davor schützen, es als solches wahrzunehmen.

Abstraktionsgrade des Kopfes

Abstraktionsgrade des Kopfes

Mit dem Mund alleine können schon verschiedenste Gefühle ausgedrückt werden. Man stößt hier zwar relativ schnell auf Grenzen in der Mimik, unter Umständen kann das Repertoire an benötigten Gesichtszügen aber alleine durch den Mund abgedeckt werden.

verschiedene Mimik durch Verändern des Mundes

Am ergiebigsten, um Emotionen auszudrücken, sind die Augen. Ein Augenpaar kann Auskunft über den Gefühlszustand einer Charaktere geben, ohne dass andere Gesichtsmerkmale zu sehen sind. Übrigens: eine Figur, die sich nicht bewegt, aber hin und wieder blinzelt, erscheint schon sehr lebendig.

Augen als Übermittler von Emotionen
Augen als Übermittler von Emotionen

Zusammen mit Augenbrauen wird die Gefühlslage der Charaktere nochmals deutlicher.

Augen mit Augenbrauen als Übermittler von Emotionen

Wie wär´s nun mit einem Mund, der zu den Augen passt? Vielleicht mit einem Bart? Ein paar Vorschläge:

Münder

Statt einer runden Kopfform könnte man jetzt noch ein paar Alternativen entwickeln. Beispielsweise:

Kopfformen

Alles zusammen ergibt dann bereits eine Charaktere, die ihre persönlichen Eigenarten hat, alleine durch Augen, Augenbrauen und Mund. Eine eigene Kopfform und Accessoires wie etwa Nase und Bart machen sie individuell.

Kopf zusammengesetzt aus Kopfform, Augenbrauen, Augen und Mund

Auf diese Weise lassen sich mit Hilfe eines Computers im Baukastenprinzip Figuren zusammenstellen.

zusammengesetzte Köpfe
zusammengesetzte Köpfe

Der Körper kann ebenso aus Einzelteilen bestehen. Man kann ihn zum Beispiel in Oberkörper mit Beinen, Arme und Hände aufteilen, um etwa Dialoge mit Gestik zu unterstreichen.

Zusammengesetzter Körper
Zusammengesetzter Körper

Gestik kann die Natur einer Charaktere deutlich hervorheben. Eine schüchterne Person hat eine zurückhaltende, unsichere Körpersprache. Grundsätzlich agiert sie eher schlaff, spannt sich aber an, wenn sie sich in einer peinlichen oder unangenehmen Situation befindet. Sie meint, dass ihr Verhalten ständig von anderen beurteilt wird, was die eigene Unsicherheit nur noch mehr verstärkt. Sie vermeidet es, anderen zu nahe zu kommen. Ein aufbrausender Mensch dagegen gebärdet sich lebhaft und bedrohlich. In Rage schert er sich nicht darum, was andere von ihm denken. Er wird blind für seine Umgebung. Alles, was in seiner Welt dann noch existiert, ist der Gegner. Er neigt sich ihm herausfordernd entgegen und versucht sich größer zu machen, als er ist. Seine Mimik und Gestik sind ausdrucksstark. Auch soziale Schichten unterscheiden sich. Ein einfacher Arbeiter gestikuliert mehr und ungezwungener, als eine Prinzessin, die stets darauf bedacht ist, ihre Bewegungen auf ein Minimum zu reduzieren. Die weibliche Körpersprache ist eindeutig von der männlichen zu unterscheiden. Umso überraschender kann es sein, wenn eine Person aus ihrem üblichen Verhaltensmuster ausbricht und auf eine Art gestikuliert, die ihr später leid tun wird. Bei einem ausgewachsenen Wutausbruch verschwinden alle Hemmungen und kulturell geprägten Verhaltensnormen. Unterdrückte Gefühle, die sich bis zu diesem Zeitpunkt angestaut haben, entladen sich verbal, durch Mimik und Gestik. Die Methode, Figuren aus Einzelteilen zusammenzubauen, ist sehr sparsam, was das Zeichnen betrifft. Dennoch hat sie auch Nachteile. Oft ist es nötig, die einzelnen Elemente im Computer auszuschneiden, bevor man sie zusammensetzt. Ich halte das für eine ermüdende Aufgabe. Danach mit Einzelteilen wie Augenbrauen zu hantieren, kann sich lange hinziehen, wenn man nicht schon jeden Blick und jede Gestik im Voraus geplant hat. Natürlich dauert es noch länger, die kompletten Figuren aufs Papier zu zeichnen. Andererseits geht man in diesem Fall auch überlegter vor, da die Einzelteile eben nicht so leicht austauschbar sind. Ich verwende meistens eine Mischform. Szenen, in denen sich nicht viel bewegt, oder Dialog stattfindet, setze ich üblicherweise nach dem Baukastenprinzip zusammen. Passiert viel und wird viel hin- und hergerannt, dann zeichne ich am liebsten die gesamte Figur am Stück.

Es ist relativ einfach, eine Figur in ihre Einzelteile zu zerlegen. Um das Aussehen einer Charaktere festzulegen, ist es allerdings ratsam, sie zunächst als Ganzes zu skizzieren und sich danach Gedanken zu machen, wie man sie zerlegen kann.

Wer jetzt sagt »Ich kann aber nicht zeichnen!«, sollte einmal folgende Übung133 ausprobieren:

  1. Zeichne irgendeine ovale Form.
  2. Setze eine Nase hinein. Sie kann eine u-förmige, runde, spitze oder jede andere Form haben, die für eine Nase in Frage kommt.
  3. Zeichne als Augen zwei Punkte oder Schlitze oberhalb der Nase.
  4. Zeichne einen Mund unter die Nase. Er kann beispielsweise gleichgültig, lachend, lächelnd oder ärgerlich sein.
  5. Das ist bereits ein Gesicht. Jetzt kannst Du noch zusätzliche Merkmale hinzufügen. Augenbrauen, Haare, Wimpern, Lippenstift, Bärte, Stirnfalten, Falten am Mund, Hüte, etcetera. Fertig.
einfache Zeichnung eines Cartoon-Kopfes
einfache Zeichnung eines Cartoon-Kopfes

Halb so wild, oder? Du bist dran. Probier´s aus!

Aufgabe

Bisher habe ich in meinen Animationen Figuren meist in der Profilansicht verwendet. Charaktere stehen sich häufig gegenüber und interagieren miteinander. Es ist der einfachste Weg, dies im Profil zu zeigen.

Charaktere in Profilansicht: Café Imperial

Charaktere in Profilansicht: Café Imperial

In der Seitenansicht ist beim Menschen nur ein Auge zu sehen.134 Glücklicherweise ist es bei einem Zeichentrickfilm nicht notwendig, sich an die Realität zu halten. Im Profil können sich durchaus beide Augen auf einer Seite der Nase befinden, bei der Frontansicht können sie dann wieder rechts und links der Nase stehen.

Reale Profilansicht und Profilansicht mit beiden Augen auf einer Seite der Nase

Reale Profilansicht und Profilansicht mit beiden Augen auf einer Seite der Nase

Profilansicht und Frontansicht

Profilansicht

Frontansicht

Es gibt verschiedenste Methoden, wie man einfachste bis realistische menschliche Figuren zeichnen kann. Sie werden in unzähligen Büchern beschrieben. Für simple Figuren habe ich bisher Jack Hamms Cartooning the Head and Figure135 zu Rate gezogen. Hier werden vielfältigste Methoden und Stile vorgestellt.

einfache Cartoonfigur männlich
einfache Cartoonfigur weiblich

Manchmal benötigt man neben der Darstellung im Profil eine frontale oder perspektivische Ansicht. Ist man ungeübt, dann kann man hier schnell an die eigenen Grenzen stoßen. Beim Erstellen von The Robbery ist dieses Problem aufgetreten. Ich hatte die Charaktere im Profil entwickelt. Die Frontansicht ist auch nicht schwieriger zu zeichnen, wenn man sie einmal gefunden hat. Mein Problem war allerdings, dass ich schlichtweg nicht wusste, wie die Charaktere von vorne aussieht. Wie ist die Kopfform? Wie sieht die lange Nase von vorne aus? Wie der Mund? Etcetera. Ich bin nicht weitergekommen. Alle Versuche misslangen. Die Figur in der Frontansicht war eine andere, als die, die im Profil gezeichnet war. Schließlich habe ich Knetmasse gekauft und die Charaktere so lange geformt, bis ich zufrieden damit war. Sie aufs Papier zu übertragen, fiel dann leichter.

reale perspektivische Ansicht einer Figur
gezeichnete perspektivische Ansicht einer Figur

Perspektivische Ansicht einer Figur

Menschen sind relativ leicht darzustellen. So ziemlich alles, das aufrecht auf zwei Beinen steht, geht als Mensch durch. Wie zeichne ich aber ein Tier? Auch hier geht es wieder darum, zu vereinfachen. Oft ist zu Beginn eine Recherche notwendig. Wenn man weiß, wie das Lebewesen in der Realität aussieht, empfiehlt es sich, zunächst Grundformen zu suchen.136 Davon ausgehend fällt es leichter, eine Cartoon-Version zu zeichnen. Das erste Ergebnis ist selten befriedigend. Nach ein paar Versuchen sieht man aber oft schon, in welche Richtung sich die Charaktere entwickelt. Halte die Figuren einfach, und es wird funktionieren.

Abstraktionsgrade eines Löwenkopfes
Abstraktionsgrade eines Hundes

Wenn Du eine Geschichte entwickelt hast (siehe Story), dann ist es jetzt an der Zeit, das Aussehen der Charaktere zu bestimmen. Welche Typen benötigst Du? Wie ist ihr Verhalten? Haben sie einen speziellen Beruf? Wie könnte das ihr Äußeres beeinflussen? Stellst Du sie Dir dick oder dünn, groß oder klein vor? Sind es Menschen wie Du und ich? Gibt es einen Superhelden? Welcher Stil gefällt Dir? Ist er einfach oder zeitaufwendig? Passt das zum Zeitrahmen? Versuche es simpel zu halten, besonders wenn Du ungeübt bist. Zeichne und vereinfache. Probiere es mit Proportionen, die von der Realität abweichen. Was ist falsch an Strichmännchen? Zeichne einfach drauf los und halte Dich nicht zu lange bei jeder Skizze auf. Es werden viele Versuche daneben gehen, das ist ganz normal. Wenn Du wirklich weißt, wer die Charaktere ist, wie sie sich verhält, wenn Du ihre Stärken und Schwächen kennst, ihr Alter, ihre Eigenheiten, etcetera, dann wirst Du kein Problem haben, sie zu erkennen, wenn sie vor Dir steht. Es ist wie beim Casting. Einige Bewerber mögen zwar gut sein, sie passen aber einfach nicht zu der Rolle, die das Drehbuch verlangt. Finde jetzt bitte die Darsteller für Deine Animation.

Aufgabe