ii. Lippenbewegungen

Wie im vorherigen Kapitel angesprochen kann der Mund dazu dienen, den emotionalen Zustand einer Figur zu zeigen oder zu unterstreichen. Daneben hat er noch einen anderen praktischen Zweck: Man kann ihn zum Sprechen verwenden. Wer hätte das gedacht? Wenn uns ein Laut über die Lippen kommt, dann hört und sieht man es. In dem Kapitel Sprechtext oder Kauderwelsch habe ich davon gesprochen, dass verständlicher Dialog üblicherweise vor, unverständlicher Text dagegen nach der visuellen Umsetzung aufgenommen wird. Dies ist kein Rezept, von dem man nicht abweichen kann. Ich halte diese Vorgehensweise aber für die einfachste.

Wenn sich die Lippen gemäß den Lauten bewegen, die eine Figur von sich gibt, spricht man von Lippensynchronität. Dies trägt dazu bei, Figuren lebensechter erscheinen zu lassen, ist aber nicht zwingend notwendig. In den meisten Monty Python Animationen sprechen die Figuren, indem sie die Münder in schneller Folge auf und wieder zuklappen. Es sieht aus, als würden sie unentwegt »ba-ba-ba-ba-ba« sagen, statt zu reden. In meiner Animation Café Imperial sprechen die Figuren synchron, in The Robbery sind die Lippenbewegungen zufällig. Synchronität ist mit mehr Arbeit verbunden, kann aber eine gute Wirkung haben. Asynchronität dagegen kann komisch aussehen und aus diesem Grund auch erwünscht sein. Die Entscheidung liegt bei Dir.

Es gibt mehr oder weniger detaillierte Herangehensweisen, die einzelnen Sprachlaute darzustellen. Ich komme gut damit aus, zehn verschiedene Mundformen zu verwenden, die die Vokale, Konsonanten und Pausen abdecken.137

Lippenbewegungen: Vokale und neutral

a i

e

o

u

neutral

Lippenbewegungen: Konsonanten

m b p

c d g k n r s th y z

f v (d th)

l

wq

Die oben abgebildeten Köpfe stammen aus Café Imperial. Da die Charaktere in Rage gerät, habe ich drei Stufen gezeichnet: leise, laut und tobend. Hier zu sehen ist die laute Version. Die Stufen unterscheiden sich darin, wie weit der Mund geöffnet ist. Wenn die Figur wirklich tobt, dann steht beispielsweise beim O der Mund mehr als doppelt so weit offen wie hier. Es ist sehr übertrieben, stört aber nicht. Im Gegenteil, die Wut des Mannes kommt umso besser zum Ausdruck. Außerdem weicht die hier gezeigte Art zu sprechen von der Realität ab. Menschen bewegen den Unterkiefer, um den Mund zu öffnen. Dieser Herr allerdings hält ihn starr in Position und redet, indem er den gesamten Kopf vom Oberkiefer aufwärts anhebt. Es ist unnatürlich, wird aber ebenfalls nicht als störend empfunden.

Bei Lippensynchronität geht es nicht darum, jeden einzelnen Buchstaben auf das Bild zu übertragen. »Wie in der Musik – Du fliegst über eine schnelle, komplexe Passage und schlägst nur die Hauptpunkte an – Du musst nicht jede Note gleichermaßen wie aus einem Maschinengewehr feuern – Du gleitest hinüber. (…) Die Hauptsache ist, an Worte zu denken, Wortformen und Satzteile – nicht an Buchstaben.«138 Am wichtigsten ist es, die auffallenden Vokale A, I, E, und O zu akzentuieren. Das gilt natürlich besonders dann, wenn sie auch sprachlich hervorgehoben werden, wie das bei Ausrufen wie »Hey!« oder »Wow!« der Fall ist.139 Das L richtig zu setzen ist auch wichtig, da es der einzige Laut ist, bei dem auf jeden Fall die Zunge zu sehen ist.

Man sollte für den Übergang zu einem Vokal keine Zwischenschritte zeichnen, sondern von einem Bild zum nächsten von dem vorangehenden Laut in den Vokal wechseln. Unser Mund kann sich beim Sprechen sehr schnell bewegen, um Worte und Sätze zu formen. Zeichnet man schrittweise Übergänge zu den so wichtigen Vokalen, wirkt die Mundbewegung zu weich und die Figur verliert an Vitalität. Nach einem Vokal kann man stufenweise zum nächsten Laut übergehen. Eine einfachere Möglichkeit ist es aber, den Mund so lange unverändert zu lassen, bis der nächste Laut einsetzt.140

Lippenbewegungen

F

A

A

A

U (O)

L !

(Pause)

Bei der traditionellen Animation verwendet man häufig ein sogenanntes Dope Sheet. Hier ist Frame für Frame aufgezeichnet, was geschieht und welche Laute die Figuren sprechen.141 Dieses strickte Vorgehen nach Plan hat mich abgeschreckt, also habe ich mir eine alternative Lösung überlegt. Ich habe die Köpfe eingescannt und mit einem Schnittprogramm, das gleichzeitig Ton abspielen kann, mit dem Dialog synchronisiert. Das ist beispielsweise mit Final Cut von Apple oder Adobe Premiere gut möglich. Danach habe ich mit Augen und Augenbrauen den Rest der Mimik hinzugefügt. Die ganze Prozedur hat für beide Charaktere drei, vier lange Tage gedauert. Es macht wirklich keinen Spaß, aber immerhin musste ich mir beim weiteren Animieren keine Gedanken mehr darum machen.

Dope Sheet

Dope Sheet