ii. Das hat gerade noch gefehlt: Komplikationen

»D´oh!«

– Homer Simpson

Wir befinden uns auf dem Weg zur Krise. Hier sollte für den Helden eine schlechte Nachricht nach der anderen eintreffen. Der Weg zum Ziel soll nicht ohne Anstrengung erreicht werden. Nur, wenn er sich Mühe macht und alles gibt, wissen wir, wie ernst es ihm darum ist, zum Ziel zu kommen. Und nur, wenn er kämpft und auch Rückschläge in Kauf nimmt, hat er auch verdient, zu dem Schatz zu gelangen, wie auch immer dieser aussehen mag. Er muss einen Grund haben, viel zu riskieren. Und wenn es nur um diesen einen Parkplatz geht, den sich die Figur nicht von der anderen wegschnappen lassen will. Es könnte sein, dass die Charaktere sonst ihre Verabredung sitzen lässt oder die Geldübergabe einer Entführung verpasst. Es steht etwas auf dem Spiel. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber wenn etwas wirklich wichtig ist, dann treten gerne zusätzliche Schwierigkeiten auf, die mich noch mehr in Bedrängnis bringen. Für einen kurzen Animationsfilm ist es oft nicht schlecht, an dieser Stelle, wenn nicht schon in der Ausgangssituation geschehen, ein knappes Zeitlimit einzubauen. Das erhöht die Spannung. Wenn die Uhr abläuft, dann ist alles verloren. Lola rennt gegen die Zeit. Außerdem soll die Animation ja auch umgesetzt werden, und so spart man sich letztendlich auch Zeit bei der Arbeit, die noch ansteht.

Die Ausgangssituation und das Ziel der Charaktere sollte klar sein. Überlege Dir jetzt bitte, was sich alles in den Weg stellen könnte. Versuche, dass diese Schwierigkeiten auch glaubhaft in die Situation passen. Es sollten nicht nur Klaviere vom Himmel fallen. Das ist eine Slapstickeinlage, die die Charaktere nicht vorantreibt. Ein Klavier, das vom Himmel fällt, verlangt keinerlei Entscheidung des Protagonisten. Es fällt halt einfach. Man bezeichnet diese Zufallslösung auch als »Deus ex machina«, wörtlich den »Gott aus der Maschine«. Meinetwegen kann man das schon mal verwenden, um Komik zu erzeugen, aber nicht ununterbrochen. Einige Drehbuchautoren würden mir dafür den Hals umdrehen. Allgemein scheint die Meinung vorzuherrschen, man solle sich lieber die rechte Hand abhacken, als einen Deus ex Machina zu verwenden. Ich traue mich aber zu wetten, dass alle, die diese radikale Ansicht vertreten, nicht Rejected von Don Hertzfeldt gesehen haben.

Versuche, zu überraschen und nicht das Offensichtliche zu zeigen. In einem Roadrunner-Film von Chuck Jones gibt es eine schöne Situation: Koyote, dessen einziges Ziel es ist, Roadrunner zu erwischen, baut eine ausgetüftelte Anlage, um ihn zu fassen. Es ist eine riesige Beschleunigungsbahn, die er benutzen will, um dem flinken Laufvogel eine rollende Bombe hinterherzuschicken. Er zündet ein Streichholz an, um die Zündschnur in Brand zu setzen. Die Bombe geht hoch, noch ehe die Schnur brennt und Koyote selbst ist der Leidtragende. Beim Publikum wird hier zunächst die Erwartungshaltung aufgebaut, dass die ausgeklügelte Anlage bei der Jagd auf Roadrunner eine wichtige Rolle spielt. Diese Erwartung wird durch die vorzeitige Detonation der Bombe zerstört.105

Was könnte zwischen der Ausgangssituation, in der sich Deine Figur befindet, und dem Erreichen ihres Zieles passieren? Schreibe jetzt bitte einige Möglichkeiten auf. Es geht wieder um Quantität, nicht um Qualität. Aber es geht auch nicht ausschließlich um fallenden Klaviere, fallenden Ambosse, unerwartete Invasionen aus dem All und dergleichen. Denke dabei auch an die drei Konfliktebenen globaler, lokaler und innerer Konflikt.

Aufgabe