iv. Nun ja, es könnte schlimmer … Hast Du das gehört? Der Höhepunkt

»Der Schlüssel zum Ausgang aller Geschichten ist, dem Publikum zu geben, was es will, aber nicht auf die Art, die es erwartet.«111

– William Goldman

Bis zu diesem Punkt musste der Protagonist einige Situationen meistern. Seit er sich, motiviert durch sein Ziel, ins Abenteuer gestürzt hat, ist er von Komplikationen und Krisen geschüttelt worden. Es ist möglich, dass sich dadurch oder durch eine unerwartete Wendungen das Ziel, das er in der Ausgangssituation vor Augen hatte, verändert hat. Egal, was der Schatz ist oder wie er aussieht, er ist in greifbarer Nähe. Fast. Es wäre zu einfach, wenn der Held vorbeikommt, ihn sich nimmt und dann nach Hause geht. Er kann den scheinbaren Sieg errungen haben, aber irgendetwas unerwartetes muss noch passieren. Der erlegte Drache erwacht doch noch mal kurz zum Leben und bringt den tapferen Ritter noch ein letztes Mal in Bedrängnis. Natürlich im übertragenen Sinn, denn ganau diese Situation ist selbst schon ein so alter Hut, dass man das Publikum tatsächlich damit überraschen könnte, dass überhaupt nichts passiert.112

Das Unerwartete ist üblicherweise etwas, das im Laufe der Geschichte vorgestellt wurde. Andernfalls handelt es sich um eine Zufallslösung, einen Deus ex Machina, der vermieden werden sollte. In Kill Bill beispielsweise rechnet die Heldin Beatrice mit all ihren ehemaligen Feinden ab. Der Letzte und Meistgehasste auf ihrer Liste ist, wie sollte es anders sein, Bill. Das Publikum rechnet nach zwei Filmen und über drei Stunden blutrünstiger Rache mit einem Showdown, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Beatrice begibt sich in die Höhle des Löwen, in die luxuriöse Hotelsuite von Bill persönlich. Die Heldin ist ausgestattet mit dem schärfsten Samuraischwert der Welt, einer geladenen Pistole, mit der besten Ausbildung, die man als Profikiller bekommen kann, und mit dem größten vorstellbaren Hass und Rachedurst. Als sie mit angelegter Pistole einen Satz durch eine Tür macht, steht sie erstmals ihrer vierjährigen Tochter gegenüber. Bill gibt sich ganz als Familienvater und Beatrice bricht unter Freudentränen zusammen. Die Tatsache, dass ihr Kind entgegen ihrer Annahme am Leben ist, wird in der Geschichte zuvor eingeführt. Hier am Ende des Films ist diese Information neben den anderen Ereignissen so weit untergegangen, dass das Publikum von dieser Wendung überrascht ist. Das finale Gefecht mit Bill kommt natürlich dennoch zustande, versucht aber gar nicht, die bisherigen Schlachten in den Schatten zustellen. Der letzte Kampf wird zwar mit Samuraischwertern, aber im Sitzen ausgetragen.

Im Laufe der Story sollte das Publikum eine Ahnung davon bekommen haben, was es am Ende erwarten kann. Es kann sich ein tragischer Ausgang, ein Happy End, ein ironischer Schluss oder anderes anbahnen. Man sollte diese Erwartungshaltung der Zuseher nicht enttäuschen.113

Was wäre, wenn Amelie sich umgebracht hätte und ihr Angebeteter, der eine Sekunde zu spät kommt, sie nur noch von der Decke baumeln sieht? Dann gäbe es keine Hoffnung mehr. Nichts in dem Film hätte einen Sinn gehabt. In Brazil erwarten wir, dass Sam Lowry aus dem menschenfeindlichen System in die Freiheit entflieht. Dass die Freiheit darin besteht, nach einer »Behandlung« durch dieses System geistig nicht mehr zurechnungsfähig und ihm dadurch entflohen zu sein, ist nicht vorhersehbar. Er hat gewonnen, auch wenn sein Sieg nicht die Züge eines klassischen Happy Ends hat. Nach Aristoteles muss der Ausgang einer Geschichte unvermeidlich und unerwartet sein.114

Überlege Dir bitte: Wie kann es zum Höhepunkt kommen, bevor Dein Held sein Ziel erreicht? Ist das vorhersehbar? Wie löst er das Problem? Ist das vorhersehbar? Sei ehrlich zu Dir. Eine gute Möglichkeit ist auch, andere Leute zu fragen. Wie meinen sie, dass die Story ausgehen könnte? Wenn sich ihre Idee mit Deiner deckt oder ähnlich ausfällt, dann denk noch mal in eine andere Richtung, vielleicht einfach in die entgegengesetzte. »Kreativität ist die Niederlage der Gewohnheit durch Originalität.«115 Versuche auch nicht, auf eine einzige Schlusspointe hinzuarbeiten. Das Publikum ist nicht dumm und es ist zu riskant, dass es die Pointe kommen sieht, bevor sie da ist.

Aufgabe