ix. Der Sketch

»›Ich meinte,‹ sagte Ipslore bitterlich ›was gibt es in dieser Welt, das das Leben lebenswert macht?‹ Der Tod dachte darüber nach. ›Katzen,‹ sagte er schließlich, ›Katzen sind nett.‹«92

– Terry Pratchett

Wenn eine Geschichte nur einen kurzen komischen Moment beschreibt, dann nennt man das einen Sketch. Hier geht es meistens, wie im vorherigen Kapitel beschrieben, um Gegenspieler, die aufeinandertreffen. Ob das Erzfeinde sind oder ob sie nur eine kleine Meinungsverschiedenheit haben, ein Sketch steigert sich im besten Fall zu apokalyptischen Ausmaßen. John Vorhaus beschreibt in seinem Buch The Comic Toolbox93 eine Methode, die ich für gut anwendbar halte, um einen Sketch zu entwickeln. Er untergliedert die Vorgehensweise in neun Punkte:

  1. Finde eine komische Charaktere
  2. Finde eine starke Opposition
  3. Erzwinge ein Bündnis
  4. Verschärfe den Konflikt
  5. Erhöhe die Einsätze
  6. Gehe über die Grenzen hinaus
  7. Suche einen emotionalen Höhepunkt
  8. Finde einen Gewinner
  9. Ändere die äußeren Umstände

Wir haben bereits alle Methoden, um zwei Charaktere auf diese Weise aufeinander losgehen zu lassen. Erschaffe mit Hilfe von Frankensteins Baukasten zwei Kreaturen. Sie müssen Stärken, Schwächen und ihre eigene Weltsicht haben. Alternativ kann es sich auch um eine Charaktere im Kampf gegen ein System oder etwas anderes handeln, das keine zweite Person ist. »Die Gefahr dieser Struktur ist, dass eine komische Idee schnell flach werden kann, wenn sie keine starke Story und echten Konflikt hat, um sie vorwärts zu bewegen.«94 Am geeignetsten ist in so einem Fall, eine Charaktere zu entwickeln, die ein solches System repräsentiert. Sie stellt einen tatsächlichen Gegner »zum anfassen« dar und ist kein abstrakter Begriff. Damit wären wir wieder bei zwei sich gegenüberstehenden Charakteren. Geize nicht mit Übertreibung, denn schließlich soll es komisch werden.

Wenn Du die beiden Figuren erschaffen hast, dann erzwinge ein Bündnis zwischen ihnen. Das bedeutet schlichtweg, dass sie es für die Dauer des Sketches zusammen aushalten müssen. Ob sie nun in einem Aufzug steckengeblieben sind oder ein Pfarrer und ein Sünder im Beichtstuhl zusammentreffen. »Praktisch jede Situation wird funktionieren, solange es einfacher ist, hineinzugeraten als herauszukommen.«95 Setze die Charaktere in ein Szenario, wie Du es in dem Kapitel über die Grundidee entworfen hast.

Dann entwickle einen Konflikt, der klein beginnt und sich zunehmend steigert. Eine einfache Möglichkeit ist, dass eine Person etwas möchte, die andere es ihr aber nicht gibt. Eine Politesse möchte sich einen Stift leihen, der Parksünder gibt ihr aber keinen. Ein Beamter möchte das Geburtsdatum einer Person wissen, diese sagt, das gehe ihn nichts an. Dann steigere den Konflikt bis zum äußersten. Lasse die beiden Parteien richtig aneinandergeraten. Es genügt nicht, wenn ein Bürger, der sich über die Bürokratie auf einem Amt ärgert, nur auf den Schreibtisch des Beamten haut, der gewohnheitsmäßig ohnehin nur seine Zuständigkeit leugnet. Lass es laut und wütend und persönlich werden. Vom ursprünglichen Streitpunkt kann sich das Thema hier schnell auf das körperliche Äußere des jeweiligen Gegenübers ausweiten, auf seine Qualitäten als Mensch, Mutmaßungen über seine Vorfahren und Spekulationen, was die Zukunft wohl noch so bringen wird, etcetera. Wenn Du willst, dann lasse die Charaktere Gewalt anwenden. Gehe sehr weit. Lasse den Bürger damit drohen, dass er sich vom Verwaltungsgebäude stürzt, wenn nicht innerhalb von zehn Sekunden der zuständige Beamte mit einem Entschuldigungsschreiben, einhundert roten Rosen und der Bundeslade aufkreuzt, um die Sache wieder ins Reine zu bringen. »Ich warte! Eins! Zwei! Drei! …«

Dann erhöhe die Einsätze, indem Du ein neues Risiko oder eine neue Belohnung hinzufügst. »Frage Dich immer, ›Was ist das Schlimmstmögliche, das dieser Person als nächstes zustoßen könnte?‹ und dann finde einen Weg, dieses Schlimmstmögliche geschehen zu machen.«96 Was ist schlimmer, als auf einem Amt mit den Windmühlen der Bürokratie zu kämpfen, sich im Papierkrieg mit ausnahmslos nicht zuständigen Beamten zu befinden und schließlich mit Selbstmord zu drohen, falls sich bei Zehn nicht verdammt noch mal der Sache angenommen würde? »… Sieben! Acht! Neun!« Mittagspause. Das ausnahmslose und peinlich genaue Einhalten des Beginns der Mittagspause ist der Tiefpunkt eines jeden Behördengangs. In diesem Fall: Welchen Sinn hat es, mich aus Protest gegen die Bürokratie umzubringen, wenn keiner Notiz davon nimmt?

Es geht aber noch weiter. Gehe über die Grenzen hinaus. Wie kann man die Situation weiter steigern? Was ist schlimmer als die Mittagspause? Das Wochenende. Was ist schlimmer, als von einem Verwaltungsgebäude zu springen? Eine Genehmigung in dreifacher Ausführung unterzeichnen zu müssen, bei der Kasse dafür zu bezahlen und in Raum 456b unter Vorlage des Personalausweises, der Geburtsurkunde, des Formulars und der Quittung sich das Vorhaben genehmigen zu lassen. Was ist schlimmer als ein Verwaltungsbeamter? Zwei Verwaltungsbeamte. Steigere die Geschichte in diese Richtung. Dann steigere sie noch weiter, also drei Verwaltungsbeamte, vier, die ganze verdammte Abteilung. Schicke das arme Bürokratieopfer auf einen Betriebsausflug zum Südpol mit ihnen. Der Polarkoller ist vorprogrammiert. Gehe, so weit Du willst, aber gehe weit. Logik spielt keine Rolle.

»Wenn alles nach Plan läuft, wenn sich der Sketch immer weiter auf den emotionalen Kern der Charaktere zu bewegt, wenn der Einsatz immer weiter erhöht wird, dann sollte auf natürliche Weise ein emotionaler Höhepunkt aus der Ruine aufsteigen, die Du geschaffen hast.«97

Dann finde einen Gewinner. Wie geht die Situation aus? Wer gewinnt das Duell? Es geht um alles oder nichts! Wer macht den anderen auf welche Art fertig? Und zwar so fertig, dass die Geschichte wirklich am Ende ist. Es kann einer gewinnen, der andere verlieren. Es können beide gewinnen oder beide verlieren. Aber die Geschichte muss zu einem Ende kommen. Zurück zu dem Mann, der die Mittagspause abgewartet hat, um sich dann umzubringen, aber es nicht kann, weil die Gesetzgebung das nicht ohne weiteres vorsieht. Irgendwann ist er vielleicht so weit, dass er im Streit mit den dreißig Verwaltungsbeamten der Meinung ist, er wäre der König von Frankreich, der Staat sei er, und überhaupt habe er den Pinguinen den Krieg erklärt. »Auf ins Gefecht!« Worauf er mit fliegenden Fahnen aus dem Fenster stürzt. »Es spielt keine Rolle, wie die Geschichte endet, solange sie endet.«98

Zuletzt ändere die äußeren Umstände. Das ganze Gebilde, das Du erschaffen hast, muss wieder in die Normalität zurückgeführt werden, um die aufgebaute Spannung zu lösen. Das Publikum sollte dann erleichtert durchatmen können. Nach dem Sturz des selbsternannten Sonnenkönigs könnten Menschen außen an dem Fenster vorbeilaufen und nach unten sehen. Auf diese Weise könnte angedeutet werden, dass er aus dem Erdgeschoß gesprungen ist. Das ist ein bisschen vorhersehbar, oder? Möglicherweise geht auch nur das Alltagsleben auf der Behörde weiter. Vielleicht ist der Beamte für Sterbeurkunden zuständig und schickt sie dem Mann als Papierflieger hinterher. Dieser stirbt mit einem glückseligen Lächeln auf dem Gesicht, denn letztendlich hat er der Institution doch noch einen Dienst abgerungen. Wer weiß?

In diesem ganzen Beispiel mit der Behörde stand nur eine Person im Vordergrund. Ebenso können auch zwei oder mehr Charaktere gleichermaßen beleuchtet sein. Diesmal befinden wir uns auf dem Standesamt. Ein Paar möchte heiraten und muss ein Formular ausfüllen. Er fragt sie nach ihrem Geburtsdatum. Sie kann nicht glauben, dass er es nicht weiß. Sie hätte seinen Geburtstag noch nie vergessen. Das vielleicht schon, aber die Teletubbies-Krawatte, die er letztes Mal bekommen habe, sei nun auch kein Liebesbeweis gewesen. Als ob es darauf ankomme. Ha! Besser als immer zwei Wochen zu spät geklaute Blumen zu schenken. Aber das wäre doch ein romantisches Geschenk an sie gewesen. Egal von wem die Blumen sind. »Mein Lieber, Sie kamen aber vom Friedhof. Vom Friedhof! Meine Mutter hat mich immer davor gewarnt, mich mit Dir abzugeben.« »Ach ja?« »Ja! Hätte ich nur auf sie gehört!« »Hättest du nur auf deinen Vater gehört! Dann hättest du jetzt einen anständigen Beruf! Und du würdest nicht dauernd mit diesen, diesen, … deinen Freundinnen rumhängen und Wetten abschließen, wer bei Oprah diesmal gewinnt!« »Oh?! Das sagst du mir jetzt, ja? Na schön, dass du endlich mal dein Maul aufkriegst.« »Wo ich gerade dabei bin, deine neue Frisur sieht scheiße aus.« »Wie bitte?« Und so weiter. Letztendlich wird das Formular für die Heirat in der Luft zerfetzt und beide rennend schreiend in das Büro nebenan, um sich scheiden zu lassen. Als ihnen auffällt, dass sie ja noch gar nicht verheiratet sind, rennen sie wieder zurück, um die Ehe zu schließen, nur um dann in die Genugtuung der Scheidung zu kommen und eine gemeinsame Basis für den gegenseitigen Hass zu haben. Als das frisch getraute Paar dann zum Scheidungsbüro zurückkehrt, ist es geschlossen. Wohl oder übel ziehen sie ab und werden beim Verlassen des Standesamts von einer festlichen Gesellschaft erwartet und mit Blumen beworfen. Sie spielen mit und schnell ist der Streit in Vergessenheit geraten. Auf dass der Tod Euch scheide. Kuss und aus.