viii. Use the Force, Luke! Gegner und Verbündete

»Charaktere existieren nicht in Isolation, sie stehen in Beziehung zu jemand anderen.«87

– Felix Hude

Natürlich ist es möglich, Figuren einfach alleine in eine Situation zu stecken, und zu sehen, wie sie reagieren. Raising the Steaks von Steven Piscopo ist eine kurzer Zeichentrickfilm, in dem eine Kuh, deren Füße in einen Betonklotz gegossen sind, auf den Meeresgrund sinkt. Die Zeit ist sehr knapp und sie muss sich befreien. Dies ist reine Situationskomik, der wahre Charakter kommt aber wenig zur Geltung. Das Publikum hat trotzdem sehr gelacht. Da wir uns aber noch im Oberkapitel Charaktere befinden, betrachten ich hier mehrere Figuren, die miteinander interagieren.

Verbündete sind Personen, die dem Helden auf seiner Suche unterstützen. Es muss ihre Motivation sein, dass der Held sein Ziel erreicht. Häufig überzeugen sie den Protagonisten, sich für ihre eigenen Ziele ins Abenteuer zu stürzen oder nicht aufzugeben. Andere stehen stets zur Seite, wenn Gefahr droht. Es gibt verschiedene Typen von Verbündeten. Joseph Campbell spricht wie in der Einleitung erwähnt, von dem sogenannten Mentor. Er übernimmt häufig die Funktion eines Lehrers, dessen Wissen üblicherweise auf eigene Erfahrungen aufbaut. »Der Archetyp Mentor ist nahe verwandt mit dem Elternbild.«88 Neben guten Ratschlägen übergibt er auch häufig nützliche Geschenke, die dem Helden in weiterem Verlauf der Geschichte helfen werden. Obi Wan Kenobi lehrt Luke Skywalker in Star Wars seine geheimnisvolle Kraft zu nutzen und übergibt ihm ein Lichtschwert. Beides erweist sich als extrem nützlich. Bisweilen handelt es sich dabei auch um Geschenke, die die Helden auf die Probe stellen. In der Bibel schenkt Gott Adam und Eva das Paradies, mit der einzigen Einschränkung, niemals vom Baum der Erkenntnis zu kosten. Die Bibel hätte den Umfang eines Flugblattes, hätten sie sich an diese mahnenden Worte gehalten.89

Eine Person, die den Protagonisten auf die Probe stellt, bezeichnet Campbell auch als Schwellenwächter. Er ist ein Hindernis, das der Held hinter sich bringen muss, um eine höhere Stufe auf seinem Weg zum Ziel zu erreichen. An ihm entscheidet sich, ob die Figur soviel gelernt hat, dass sie würdig ist, voranzuschreiten. Hat der Held einen solchen Schwellenwächter überwunden, dann hat er üblicherweise etwas dazugelernt. Mit Ausnahme vielleicht von James Bond, der den schönen Frauen, die ihn stets umgeben, grundsätzlich und immer wieder aufs neue so lange vertraut, bis sie ihm in den Rücken fallen. Er wird es wohl nie lernen, dass die eine immer auf seinen Tod aus ist, und die andere die persönliche Trophäe darstellt, mit der er am Ende des Abenteuers in den Sonnenuntergang rudert. Schwellenwächter müssen nicht grundsätzlich böse Absichten haben. Ein Gegenspieler kann sich nach bestandener Prüfung auch auf die Seite des Helden schlagen. Sie können Freund und Feind sein.90

Manchmal ist es unklar, auf welcher Seite der andere ist, ob er für oder gegen den Protagonisten agiert. Dies bezeichnet Campbell als Formwandler. Für den Helden ist unklar, ob er diesen vertrauen kann oder nicht. Formwandler springen von einem Zustand in den anderen. »Ein vertrauter Typ des Formwandlers nennt sich ›Femme Fatale‹, die Frau als Verführerin und Zerstörerin.«91 In Basic Instinct ist Michael Douglas hin und hergerissen, ob er sich den sexuellen Spielen Sharon Stones hingeben soll oder ob er dabei sein Leben riskiert.

Für eine kurze Animation ist es ein bisschen viel, all diese Figuren hineinpacken zu wollen. Immer interessant jedoch sind Gegner. Sie setzen den Helden unter Druck und unter Druck zeigt der Held sein wahres Gesicht (siehe Was macht Charaktere interessant?). Wir müssen nur zwei Figuren erschaffen, sie in ein Szenario setzen und abwarten, was passiert. Wenn wir wirklich wissen, wer die Charaktere sind, dann werden sie ihrer Persönlichkeit entsprechend handeln. Vom Publikum aus gesehen ist Gegnerschaft unterhaltsam. Je feindsinniger, desto besser. Gladiatorenkämpfe waren in der Antike so beliebt, wie es heute Talkshows sind. Das Niveau hat sich dabei nicht gehoben, nur die Methoden des Schlagabtausches haben sich verändert.

Widersacher können verschiedenster Natur sein. Gegensätzliche Charaktere fordern einen Kampf heraus, ob er mit Worten, physischer Gewalt, psychischer Grausamkeit oder auf andere Weise geführt wird. Aber das schließt nicht aus, zwei ähnliche oder identische Persönlichkeiten gegeneinander antreten zu lassen. Während der Storyentwicklung zu The Robbery habe ich einige Situationen durchgespielt, die sich ergeben könnten, wenn zwei Bankräuber zur selben Zeit unabhängig voneinander dieselbe Bank überfallen wollen. Die Situation ist angespannt. Beide haben bereits mit gezogener Waffe die Bank betreten. Dadurch sind sie kriminell geworden und tragen das Risiko, erwischt zu werden. Jetzt möchte natürlich auch keiner mehr auf die Beute verzichten. Außerdem ist die Zeit knapp. Wie reagieren sie? Ursprünglich hatte ich vor, die beiden Räuber argumentieren zu lassen, wer das Recht hat, das Verbrechen zu begehen. Wer führt die besseren Gründe an? Wie reagieren die Personen im Streit? Möglicherweise vergessen sie den Ernst der Lage, weil sie so vertieft darin sind, Recht zu haben. Einer könnte hochprofessionell sein, der andere ein Laie. Der Profi könnte den anderen als Stümper bezeichnen und sich über ihn lustig machen. Der Amateur könnte dem Experten wegen dessen unehrlichen Lebensstils ein schlechtes Gewissen einreden und ihn in Selbstzweifel stürzen. Die Konfrontation scheint auf jeden Fall vorprogrammiert zu sein. Wenn eine Richtung, wie in diesem Fall die Auseinandersetzung zweier Gegner, schon so auf der Hand liegt, lohnt es sich manchmal, es mit einer gegenteiligen Reaktion zu versuchen und sich zu fragen: »Aber was wäre, wenn?« Was wäre, wenn die beiden Bankräuber überaus freundlich und rücksichtsvoll sind? Wenn sie sich gegenseitig den Vortritt lassen? »Aber nein, bitte, nach Ihnen.« »Nein, nach Ihnen, Sie waren zuerst hier.« »Aber Sie haben den Überfall doch sicher monatelang geplant! Also zieren Sie sich doch nicht so. Nach Ihnen.« »Nein, nein, wissen Sie. Ich könnte gleich rübergehen und die Bank auf der anderen Straßenseite überfallen. Macht mir überhaupt nichts aus!« »Ach, mir liegt gar nichts mehr daran. Ich lasse Ihnen den Vortritt. Wirklich.« »Das kann ich unmöglich annehmen. Ich bin so an ihrer Methodik interessiert, ich kann sicher viel von Ihnen lernen. Wir sollten uns mal zum Abendessen treffen und ein bisschen über das Bankraubgeschäft plaudern.« »Oh, gerne, ja. Bei Ihnen oder bei mir?« »Bei mir. Ich bestehe darauf.« »Nein, nein. Ich bin älter. Ich lade Sie ein. Wie wär´s Morgen um halb acht?« »Das kann ich unmöglich annehmen. Nein. Wir gehen zu mir.« Und so weiter. Diese für Bankräuber untypische Reaktion würde das Publikum überraschen.

Bei der nächsten Aufgabe geht es darum, eine Situation zu erfinden, in der zwei Gegner aufeinanderprallen. Das Szenario kann ganz einfach gehalten werden. Je einfacher, desto weniger muss ich dem Publikum erklären. Es gibt verschiedene Situationen, die einen Konflikt leicht provozieren. Zwei Charaktere, die dasselbe Ziel haben, werden dadurch zu Konkurrenten. Ob das zwei Bankräuber sind, die sich wegen der Durchführung des einen Überfalls in die Haare kriegen, ob es zwei Menschen sind, die sich um die eine Parkplatzlücke streiten, oder ob es zwei Männer sind, die sich um das Herz der einen Frau zanken, es funktioniert immer. Alles, was wir benötigen, sind zwei Charaktere, die etwas haben wollen, das sich nicht teilen lässt. Oder Zwei Charaktere, die etwas haben wollen, aber nicht gewillt sind, dies zu teilen. Die Auseinandersetzung kann sich völlig vom eigentlichen Streitpunkt entfernen und der Geschichte eine überraschende Wendung geben. Erzrivalen werden zu Geliebten, Traumpaare reichen die Scheidung ein, Neonazis werden Spendensammler für Brot für die Welt, etcetera. Eine weitere Methode, ein Streitgespräch zu entwickeln ist die oben gezeigte Aufgabe »Ich bin wütend!«. Entweder man übernimmt alleine abwechselnd beide Rollen oder man versucht es zu zweit. Die Sache erfordert allerdings etwas an Übung,. Nochmals: Je mehr sich die beiden Charaktere in Bedrängnis bringen, umso besser. Viel Spaß!

Aufgabe