vii. Frankensteins Baukasten: Die Erschaffung von Charakteren

»Gute Charaktere schreiben ihre eigenen Geschichten.«86

– Chuck Jones

Nun sind wir so weit, eine Figur zu kreieren. In der folgenden Übung werden wir eine Charaktere à la Frankenstein erschaffen. Zunächst benötigt sie ein Skelett. Um zum Leben zu erwachen, bekommt sie dann eine eigenen Sicht der Welt, Stärken und Schwächen.

Das Skelett ist sozusagen das Grundgerüst, die einfache Beschreibung der Figur. Zum Beispiel: ein Bankräuber, eine Krankenschwester, ein Kleinkind, ein Tierpfleger, eine Zollbeamtin, etcetera. Ganz egal, was.

Dann setzen wir die persönlich Weltsicht dieser Charaktere ein. Bei der Zollbeamtin ist das zum Beispiel: Verbrechen lohnt sich nicht. Übersteigert kann daraus werden: Außer mir hat keiner eine weiße Weste. Jeder ist verdächtig. Ich bringe meine eigene Großmutter auf den elektrischen Stuhl, wenn sie auch nur eine Tafel Schokolade zuviel über die Grenze bringt.

Die Stärken und Schwächen gehen teilweise aus der Weltsicht hervor. Daneben sollten aber auch Charakterzüge vorhanden sein, die der eigenen Weltanschauung widersprechen. Auf diese Weise lässt sich ein innerer Konflikt provozieren. Weiterhin kann man auch andere Eigenheiten einpflanzen, die der Figur eine reichere und vielschichtigere Persönlichkeit geben. Schwächen wären beispielsweise: extremes Misstrauen gegenüber allen, auch im Privatleben. Unreflektiertes Einhalten von Regeln und Gesetzen. Eine Schwäche für Schokolade. Das Leid und der familiären Druck, den Mann fürs Leben immer noch nicht gefunden zu haben. Ein extrem starker christlicher, bibeltreuer Glaube. Die Vorliebe, Kaugummis unter Stühle zu kleben. Schadenfreude, etcetera. Einiges wird sie in innere Konflikte stürzen. Mit ständigem Misstrauen lässt sich keine Beziehung aufbauen. Wer Kaugummis unter Stühle klebt, handelt gegen eine soziale Norm. Das mag uns nur als Kleinigkeit erscheinen, da die Zollbeamtin Regeln sonst aber blind befolgt, kann sie sich durch ihr verbotenes Spiel in eine moralische Krise stürzen. Wenn sie diese Selbstzweifel hat und dann ihre Schadenfreude aufblitzt, weil andere in ihre Kaugummis fassen, könnte sich die Krise zur Depression ausweiten. Deshalb beginnt sie in rauhen Mengen Schokolade zu essen. Als sie später das vielfache ihres Idealgewichts auf die Waage bringt, sieht sie die Chance auf den Partner fürs Leben als aussichtslos an. Sie beschließt, sich umzubringen, aber ihre Bibeltreue verbietet es. Mit weiteren Schwächen kann man das Ganze endlos weiterspinnen. Es ist erstaunlich, wie man manchmal blind gewählte Begriffe auf diese Weise zusammenführen kann. Auch hier gilt wieder, nicht auf Qualität, sondern auf Quantität zu achten (siehe Aller Anfang ist schwer). Hinterher kann man dann beurteilen, was funktioniert und was nicht. Bei obigem Beispiel stört mich das Laster mit den Kaugummis ein wenig. Ich kann nicht einmal genau begründen, warum. Für mich wirkt es aufgesetzt. Also weg damit. Aber immerhin weiß ich jetzt, dass ein kleines Laster bei dieser Figur große Auswirkungen haben kann. Ich kann es also mit einer anderen Schwäche ausprobieren. Beispielsweise könnte sie leicht kleptomanisch veranlagt sein. Sie stiehlt ihrer Großmutter die Sonntagszeitung. Wenn sie danach von Gewissensbissen geplagt in die Kirche geht, kann sie sich nicht zurückhalten und entwendet eine Münze aus dem Klingelbeutel. Ja, das gefällt mir glaube ich besser.

Manche Schwächen können sich auch als sympathisch herausstellen. Die kleinen Diebstähle machen sie menschlich, denn es zeigt, dass sie kein kaltherziger Zollbeamtenroboter ist. Ihre Fehler gehen ihr zu Herzen und sie hat den Wunsch, sich zu bessern. Damit sind wir bei den Stärken. Die wären beispielsweise: Fähigkeit zur Selbstkritik und Reue. Abgesehen von ihrem Laster und ihrem extremen Pflichtbewusstsein hat sie ein grundsätzlich gutes Verhältnis zu ihrer Großmutter. Starke moralische Werte. Sie liebt Blumen, etcetera.

Wenn alles miteinander verflochten ist, und nichts mehr aufgesetzt wirkt, haben wir auf die Frankensteinsche Methode eine wenn auch hier und da übertriebene, aber doch glaubhafte Charaktere geschaffen. Danach müssen wir Frankenstein nur noch loslassen und sehen, wie er in verschiedenen Situationen reagiert. Jetzt erschaffe bitte Deine Kreatur.

Aufgabe