3) innerer Konflikt

Der innere Konflikt verrät am meisten über Charaktere. »Für wirklichen dramatischen Antrieb schlägt nichts, Charaktere im Krieg mit sich selbst zu sehen.«79 Der Konflikt entsteht durch Widersprüche in einer Person. Wie in den Kapiteln Wer bin ich? und Die dunkle Seite bereits angesprochen, tritt der innere Konflikt auf, indem unterbewusste Charaktereigenschaften unvereinbar mit bewussten sind. Tritt dieser Fall bei uns ein, dann befinden wir uns in einem Zwiespalt. Häufig wissen wir nicht einmal, was der eigentliche Grund dafür ist, denn unterbewusste Eigenschaften können negativ sein. Wir gestehen uns aber ungern ein, dass wir eine negative Seite haben. Unser Schatten wird verdrängt. »Diese unbewussten Mächte erlangen mehr Kraft, wenn sie verdrängt oder geleugnet werden. Unerkannt können sie Leute dazu treiben, Dinge gegen ihren Willen zu tun und zu sagen. Unterdrückt haben sie größeres Potential, Leute in Schwierigkeiten zu bringen.«80 Der innere Konflikt kann nicht direkt dargestellt werden. Er zeigt sich durch Handlungen, die von ihm ausgelöst werden.

In Tootsie verwandelt sich Michael Dorsey in Dorothy Michaels. Als Frau hat Michael eine große Karriere vor Augen, andererseits ist es ihm in seiner weiblichen Verkleidung nicht möglich, seiner großen Liebe Julie näherzukommen. Er steht nun vor dem Zwiespalt Karriere oder Liebe. Er gibt öffentlich zu, dass er keine Frau ist, und opfert so seinen beruflichen Erfolg. Dennoch weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob eine Zukunft mit Julie überhaupt möglich ist. Sein innerer Konflikt hat ihn an den Punkt getrieben, alles aufs Spiel zu setzen. Er weiß nur, dass er nicht mehr mit der Lüge weiterleben kann.81

Ein innerer Konflikt kann einen lokalen Konflikt auslösen. Wenn Menschen große persönliche Probleme haben, werden sie leicht reizbar. Kommt es zum Streit, dann ist es für ein Drehbuch mit Dialog wichtig, dass dem Gegner nicht die tatsächlichen und tiefsitzenden Probleme an den Kopf geschleudert werden. »Schlechter Dialog erzählt den Subtext. Anstatt Charakter zu enthüllen, legt er jeden Gedanken und jedes Gefühl offen. Schlechter Dialog vereinfacht Menschen, statt ihre Komplexität sichtbar zu machen.«82 Selbst, wenn sich eine Charaktere über den vollen Umfang ihrer Probleme im klaren wäre, so wäre es der Gegner schlicht und einfach nicht wert, sie zu erfahren.

Die Aufgabe lautet nun, einige Situationen aufzuschreiben, die innere Konflikte auslösen. Am besten, man verwandelt die Charaktere in ihr Gegenteil oder stattet sie mit Eigenschaften aus, die ihrer Natur widersprechen. Beispielsweise: »Ein Buddhist verdient sein Geld als Auftragskiller. Ein überzeugter Veganer jobbt im Schlachthof. Eine Meerjungfrau hat einen Kinderwunsch. Ein Vampir hat Angst vor der Dunkelheit. Ein Narziss bekommt Akne. Ein Antisemit erfährt, dass sein richtiger Vater Jude ist. Superman bekommt Höhenangst. James Bond wird ins Altersheim geschickt. Ein Nachrichtensprecher leidet am Tourette Syndrom. Ein Finanzbeamter hinterzieht Steuern.« Damit wärst Du wieder an der Reihe.83

Die meisten der Übungsbeispiele zu den drei Konfliktebenen hören sich nach Komödien an, aber die Methode eignet sich durchaus auch für ernste Geschichten. Ein Film über einen Antisemiten, der erfährt, dass sein richtiger Vater Jude ist, hat das Zeug für ein schweres Drama, in dem der Protagonist eine große persönliche Veränderung erfährt. Egal ob Drama oder Komödie, es hat alles damit zu tun, dass etwas aus dem Gleichgewicht ist und wie der Held der Geschichte damit umgeht.84 Je mehr man natürlich die Gegensätze, die aufeinanderprallen, absolut übertreibt, desto mehr bewegt man sich in eine humoristische Richtung. Die maßlose Übertreibung ist der beste Freund der Komik.

Gerade anhand der drei Konfliktebenen zeigt sich, dass Charaktere und Handlung nicht strikt getrennt werden können.85 Konflikte und Krisen – kurz: Schwierigkeiten – entstehen in der Regel durch Menschenhand. Menschen machen sich häufig Probleme, wo es keine gibt. Je besser es uns geht, desto gewichtiger werden die kleinsten Problemchen. Vermutlich ist es ohne sie einfach zu langweilig. Das schöne daran, wenn man Geschichten erzählt, ist: Wir machen Probleme. Und zwar nicht uns, sondern anderen. Wir mühen uns ab, um die Charaktere, die wir erschaffen haben, in möglichst aussichtslose, peinliche, lebensgefährliche oder andere unangenehme Situationen zu bringen. Wir lassen sie durch die sprichwörtliche Hölle gehen, wenn wir wollen. Wir werfen sie gegen ihren Willen in lebensfeindliche Welten und geben ihnen soziale Schwierigkeiten mit auf den Weg. Als wäre das noch nicht genug, schrecken wir nicht einmal davor zurück, in ihrer Psyche ein paar Schrauben zu lockern und wieder andere so fest anzuziehen, dass unsere Kreaturen nicht mehr wissen wo oben und wo unten ist. All jene, die bisher auch nur eine Situation nach den Aufgaben in diesem Buch erfunden und ein wenig Gefallen daran gefunden haben, haben die Aufgabe nicht alleine gemeistert. Der kleine Sadist, der in jedem von uns steckt, hat mit schadenfrohem Grinsen mitgespielt. Hallo, kleiner Mann! Schön, Dich zu sehen.

Aufgabe